Also, jetzt hab ich den Lese-Thread auch entdeckt und weil ich ja Germanistin bin, kann ich da auch jeeeede Menge erzählen (im übrigen ist mir aufgefallen, dass kaum jemand hier österreichische AutorInnen liest, oder deutschsprachige auch eher gering gelesen werden):
Marlene Streeruwitz (meine Diplomarbeitsautorin): Hab alles von ihr gelesen. Ein Stil, nämlich Kürzestsätze, an den/die man sich erst gewöhnen muss. Aber es lohnt sich. EinsteigerInnenbuch: Partygirl, sehr spannend, man weiß eigentlich nie so recht, was jetzt wirklich vorgefallen ist, und ist von hinten nach vorne geschrieben.
Elfriede Jelinek: EinsteigerInnenbuch: Die Klavierspielerin. (Schon das ist arg, aber dann gibt's noch ärgere.) Ihr wird gern der Vorwurf gemacht, alles zu übertreiben und keine Perspektiven anzubieten. Sie ist keine utopische Schriftstellerin. Liest man Utopien, bekommt man schnell das Gefühl, es ist eh alles super, es muss nichts mehr getan werden, wir finden unser Glück in diesen Büchern. In Jelineks Büchern ist kein Glück zu finden, sondern man hinterfragt (wenn man's nicht verwirft, wei's einem too much ist) (Macht-)Beziehungen zwischen Menschen/Geschlechtern/Hierarchien. Die Bücher wirken trostlos, aber sie geben irrsinnig viel an wie die Welt funktioniert und eigentlich nicht sollte, und auch sprachlich sehr fein, witzig und sarkastisch (manchmal ein bisschen viel Assoziationen, die nicht mehr sein müssten, aber im Grunde kann sie's schon). Sie ist in manchen Texten nicht gut zu verstehen, weil sie so viele Verschränkungen und Montagen macht, wo man zuerst die Bezugstexte kennen müsste. Sie nimmt auch immer wieder - auf sehr provokative Art - zu Tagespolitischem Bezug, kommentiert quasi Österreich. Wer sie hasst, von vornherein, muss sie erst mal durchlesen. Ich war - bevor ich mich auf sie eingelassen hab - auch, sagen wir, ihr abgeneigt.
Sophie Reyer: baby blue eyes. Junge Grazerin, die seit kurzem ziemlich gepusht wird von verschiedenen literarischen Zirkeln in Wien und Graz. Aber dieses Buch ist echt toll. Sie hat einen tollen Stil, auch ihre ProtagonistInnen sind Frauen, und von denen gibt's (ernst und ohne Klischee) eh viel zu wenige. Könnte auch was sein, hab ich aber noch nicht gelesen: vertrocknete vögel.
Friederike Mayröcker: Wenn jemand assoziativ schreibt, dann wohl sie. Sie ist einfach toll! EinsteigerInnenbuch: brütt oder die seufzenden Gärten. Oder wenn jemandem Ernst Jandl was sagt, ihr Lebensgefährte bis zu seinem Tod, dann: Und ich schüttelte einen Liebling - in gewissem Sinn autobiografisch. Sie schreibt sehr bildlich, wird von vielen Seiten inspiriert, was sie in ihren Büc.hern auch zum Thema macht. Mit ihren Gedichten kann ich nicht so gut, wobei ich sowieso nicht so auf Gedichte steh, aber ihre Prosa ist toll.
Theodor Fontane: Effi Briest. (Kam auch vor kurzem im Akademietheater in Wien, vielleicht nehmen sie's ja wieder auf irgendwann.) Geschichte über eine junge Frau um 1890 herum, die einen heiratet, weil er ne gute Partie ist, mit ihm unglücklich ist, eine Affäre mit nem anderen hat, dann - nach einem lächerlichen "Wenn einer einen tot schießt, ist die Ehre wieder hergestellt"-Duellding - wird sie von ihrem Mann verlassen, weil das so sein muss lt. Gesellschaftsordnung. Und weil Effi ihrer Rolle als (Ehe-)Frau nicht gerecht wurde, wird sie - weil das so sein muss in einer Gesellschaft mit Regeln - ausgestoßen. Realismus halt. Sehr gut. Zeigt auf, wie reglementiert Gesellschaften sind. Auch die unsere.
Alles von Wolf Haas - vor allem die Brenner-Krimis. Haas hat einfach einen tollen Schreibstil erfunden. Nach ihm kann den keiner mehr machen, da steht einfach sein Name drauf. Und 3 Verfilmungen gibt's ja auch schon (wobei "Der Knochenmann" ein sehr guter, aber auch seeeeehr grausliger Film ist). Das Wetter vor 15 Jahren, auch sehr erfrischend, mal eine andere Art Roman, eine, die den herkömmlichen Roman aufbricht und aufzeigt, wie konstruiert Romane (im besten Fall) sind.
Franzobel: V.a. Das Fest der Steine. Ist dick, liest sich aber - wie alles von Franzobel - sehr schnell. Er ist schön absurd, aber eben auch wieder nicht so absurd, als dass nicht doch Rückschlüsse zu ziehen wären. Krautflut ist auch zu empfehlen, ist dünn und mit hübschen Fotos, und der Anfang ist das Ende, nur umgekehrt.
Norbert Gstrein: Einer. Zeigt so schön auf, wie ausschließend wir sind und alles, was unserer Moral widerspricht, sofort "vernichtet" wird, ohne vielleicht erst zu helfen.
Michael Lentz: Pazifik Exil. Ein sehr gut recherchierter, aber wie alle historischen Romane, doch auch teils erfundener Roman über Schriftsteller (und Musiker) und ihre Frauen während dem Exil der NS-Zeit: Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Arnold Schönberg, Thomas Mann, usw. usf. -- Mal eine andere Art auf diese großen Männer zu blicken. Sehr fein geschrieben, das blöde 1. Kapitel ergibt Sinn, wenn man das letzte Kapitel kennt. Die Brecht-Einzelszenen sind einfach amüsant und die Fede zwischen Schönberg und Mann super. Lentz ist ein sehr "musikalischer" Schriftsteller, seine Sprache ist nicht nur Sprache, soll das heißen. V.a. nicht in Muttersterben (Prosa-Stücke).
Thomas Bernhard, nicht zu vergessen: Absolut top: Der Untergeher. Einer, der am Pianisten Glenn Gould zerbricht. Und wie er zerbricht. Natürlich auch Bernhard: ein sehr musialischer Schriftsteller. V.a. dieses Buch. Aber auch toll: Beton. Ungemach. Sein Langsatz-Wiederhol-Stil ist einfach irre eingängig. Ist schön zum (sich selber) laut vorlesen.
Arthur Schnitzler: Fräulein Else. Eine Tochter wird vorgeschickt, um sich sexuell zu verkaufen, damit sie die Schulden des Vaters bezahlen kann. Innerer Monolog, der, glaube ich, im Wiener Akademietheater wieder aufgenommen wird. Unbedingt anschauen, die Eine-Frau-Inszenierung ist einfach toll.
Birgit Vanderbeke: Geld oder Leben. Sehr unterhaltsam. (Auch wenn "Alberta empfängt einen Liebhaber" der volle Dreck war.)
Zuguterletzt noch einen Amerikaner:
John Irving: Owen Meany. Selten so ein spannender Schluss, auf den man schon das ganze Buch über wartet. Kleinwüchsiger mit großen "Aussichten". Wer den Film gesehen hat: Schrott. Und ist überhaupt nicht so wie das Buch. Eine einzige Frechheit. Dass Irving hierzu sein ok gibt, hat ja wohl auch nur materialistische Gründe. Also: Lesen, nicht gucken ;-)
Daniel Kehlmann: Erfolgreichster (aber was heißt das schon) österreichischer Schriftsteller. Verkaufszahlen irre. Verkauft sich persönlich (siehe seine Fotos) als (no na) männliches junges Genie, aber schreiben kann er. Er erzählt ziemlich herkömmlich, trotzdem ist Die Vermessung der Welt toll zu lesen. Ein Wissenschaftler-Roman über Humboldt und Gauss. Nicht alles stimmt, aber so ist das halt immer bei historischen Romanen. Dann dürfte man wohl keinen Roman lesen, wenn alles stimmen sollte, und ob bei Sachbüchern alles stimmt, ist ja auch fragwürdig, kommt wohl auf die Intention des Schreibenden an.
Leider jung verstorben und nur 3 "Bücher" geschrieben: Georg Büchner. Leonce und Lena, toller Sprachwitz, Dantons Tod, französische Revoluation mal anders, Woyzeck, auch gut auf der Bühne, besonderes Augenmerk ist auf Büchners Freundin zu legen.
Ernst Molden (sein "Huren-in-Wien-habens-lustig"-Buch ist wohl zu hinterfragen) aber zB Biedermeier (trotz blödem Cover) ist toll.
Bodo Kirchhoff: Schundroman. Da nimmt mal einer das Klischee auf die Schippe.
Ingeborg Bachmann: Malina. (Bis auf die Traumszenen toll.) Ihr möchte ich mich überhaupt annähern, aber ich tu mir noch schwer.
Lessing: Nathan der Weise. Alter Hut, für viele Schullektüre, aber toll vom Prinzip her.
Auch Lessing: Die Juden. Wie Vorurteile sich nicht bestätigen, oder sagen wir: anders bestätigen. Die Sache mit den Stücken ist halt, dass sie für die Bühne geschrieben sind, also wenn es mal die beiden spielt, unbedingt anschauen gehen. (Nathan hat das Burgtheater letzte Saison gespielt, vielleicht Wiederaufnahm in Sicht?)
Günter Grass: Die Blechtrommel (Buch, Film ist auch ok) und Katz und Maus.
Irmgard Keun: Gilgi, eine von uns. Eine junge Frau hat das Leben im Griff. Bis sie einen Mann kennenlernt, dem sie total verfällt. Toll geschrieben und oft sehr traurig.
Noch traurig: Der Vorleser von Bernhard Schlink. An den Film habe ich keine großen Erwartungen, aber das Buch ist toll, eines der seltenen Bücher, wo ich am Schluss weinen musste.
Martin Walsser: Meßmers Reisen. Man braucht, um reinzukomme. Es ist viel philosophisches Blabla, denkt man. Aber eigentlich ist's doch nur ein Germanistik-Professor der an eine amerikanische Uni kommt und sich viel Witziges dabei denkt.
Sven Regener: Herr Lehmann und Neue Vahr Süd (den Kleinen Bruder kenn ich noch nicht). Auch wenn es wieder der übliche verdächtige Protagonist: männlich, ledig, jung. Gedanken könnte man sich aber mal darüber machen, warum es ok ist, wenn Männer alleine an der Bar sitzen und die Frau nur diejenige sein soll, die den Mann ganz Hausmaus zurückpfeift, als wär's nicht auch ok, wenn sie mal einen über den Durst trinkt. Aber dennoch: Witzig geschrieben. Witziger Typ, der Herr Lehmann.--> Und auch zu empfehlen: Die Band von Herrn Regener: Element of Crime. Selten so melancholische, schöne Deutschtexte gehört.
Schiller: Don Carlos. Spannend. Außerdem auch schön mal wieder Verse zu lesen. Auch auf der Bühne anschauen gilt ;-)
Goethe: Der junge Werther. (Prosa aus dem Sturm und Drang) An einem Nachmittag sich selbst laut vorlesen. Armer verliebter Werther, der am Schluss von der Kirche verlassen wird, weil die Kirche halt doch nicht so lieb ist, wie sie immer tut.
Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray (hui, grauslig am Schluss). Oder (auf der Bühne in der Jelinek-Frei-Übesetzung sehr sehr toll): Bunbury oder Es ist wichtig, ernst zu sein (The Importance of Being earnest). Oscar Wilde war überhaupt ein toller Kerl. Ich will unbedingt mehr von ihm lesen. Film-Tipp: Wilde. Mit Stephen Fry.
Tolstoi: Anna Karenina. 1.000 Seiten-Buch, aber es lohnt. Und es ist mehr als nur die (lt. Film) Liebesgeschichte. Im Übrigen mag ich gern die russischen Namen, auch wenn es nicht nett ist, wenn die Frau nur nach dem Mann heißt, und selbst namentlich ausgelöscht wird, was ja aber bei uns auch Tradition hat. Aber Karenin und Karenina ist einfach schön. Und es geht um die russische gehobene Gesellschaft allgemein und nur hin und wieder um Anna Karenina im Speziellen.
J.P. Sartre: Die Wörter. Autobiografie bis Anfang 20. Sehr unterhaltsam, der kleine Sartre.
Albert Camus: Der Fall. Wie die Justiz halt oft versagt, weil der Schein trügt. Sehr spannend. Auch wenn der Protagonist ein ruhiger Einzelgänger ist, in seinem Kopf geht mehr vor.
Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns. Wie der Katholizismus eine große Liebesgeschichte verhindert und Leute, die etwas abseits des moralischen Mainstreams sind, gleich mal links liegengelassen werden.
Stefano Benni: Komische erschrockene Krieger. Ein paar Tiere, die reden können. Sehr lustig.
Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. Bruder denkt über Bruder nach, den er nie kennengelernt hat und der sich freiwillig als Soldat für den Zweiten Weltkrieg gemeldet hat und getötet wurde.
Wen ich noch entdecken will: Simone de Beauvoir als Schriftstellerin.
Hui, lange Liste, aber ich hab echt nur das aufgezählt, von dem ich denk, es sollte sein ;-)